Rolf Riehm wurde 1937 in Saarbrücken geboren. Er studierte zunächst Schulmusik in Frankfurt/M und ab 1958 Komposition bei Wolfgang Fortner in Freiburg. Danach Tätigkeit als Solo-Oboist (u.a. mit „Ungebräuchliches“ bei den Internationalen Ferienkursen Darmstadt 1966). Riehm ist Mitbegründer der Frankfurter Vereinigung für Musik, die von 1964 bis 1970 existierte. Nach kurzem Schuldienst war er ab 1968 Dozent an der Rheinischen Musikschule Köln, wo er bis 1972 auch Mitglied der “Gruppe 8”, einem Zusammenschluß Kölner Komponisten, war. 1968 erhielt er die Auszeichnung “Premio Marzotto per la Musica” und ein Stipendium der Villa Massimo, das ihm einen Aufenthalt in Rom ermöglichte. Von 1974 bis 2000 war Rolf Riehm Professor für Komposition und Tonsatz an der Musikhochschule Frankfurt/M. Von 1976 bis 1981 war er Mitglied des legendären “Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters” Frankfurt. Konzertreisen, Vorträge und Workshops führten ihn u.a. nach Schweden, Mittel- bzw. Südamerika und Japan. 1992 erhielt er den Kunstpreis des Saarlandes, 2002 den Paul-Hindemith-Preis der Stadt Hanau, seit 2010 ist er Mitglied der Berliner Akademie der Künste.
Rolf Riehm ist, zumal er sich als politischer Mensch versteht, ein eigenwilliger Künstler. Niemand vor ihm hat einen so komplexen Kosmos aus philosophischen Reflexionen, historischen Fakten, Mythen, Märchen, Erinnerungen, naturwissenschaftlichen Argumenten, Erhabenem und Trivialem, aktuellen gesellschaftspolitischen Befunden, ganz persönlichen Zutaten und Zuwendungen musikalisch versinnlicht. Ohne sich in ältere oder jüngere Kompositionstraditionen zu begeben, hat er die ganze Palette an Ausdrucksmöglichkeiten genutzt und, wenn nötig, radikaler ausgeformt, als das im Rahmen der verfeinerten Klangkultur schicklich war.
Das Getriebe, das die heterogenen Reflexionsebenen miteinander vermittelt, ist die Metapher, die Rolf Riehm in klangliche Gestik überführt. Fern aller Systematik hat er seine Kompositionen aus Landschaften differenziert gestalteter Gesten geformt, die einen klingenden Diskurs bilden, der Teil unserer kulturellen Diskussion ist. Riehm bringt die Bruchstücke zertrümmerter Visionen eines besseren Lebens zusammen mit den Machtinteressen der Zertrümmerer; selbst den archaischen Figuren der frühen Dichtung lauscht er Wünsche, Listen, Hoffnungen, Niedertracht, Enttäuschung, Liebe, Hass, Verrat, Gelüste, Sehnsucht, Trauer und Glück ab, spiegelt deren Auswirkungen in den Umständen der Antike und bricht deren Werte im Prisma der Gegenwart. Was immer er komponiert, entfaltet sich aus Fakten und Erfahrungen, die sich bis zur Gegenwart ergänzt haben zu explosiven Konglomeraten, die weder ästhetisch, noch politisch „korrekt“ in somatische oder haptische Klangvalenzen transformiert werden.
Bernd Leukert